Lustige Weihnachtsgeschichte

Der kleine Tannenbaum

Der kleine Tannenbaum war traurig, – so traurig, wie man als Tannenbaum bloß sein kann. Erst hatte er sich so gefreut, dass sie ihn mitgenommen hatten, ihn auf einen großen Wagen gepackt hatten, ihn in die Stadt gefahren hatten, und dann auch gleich auf den Marktplatz rauf, – so richtig schön ins bunte Leben, ins Treiben und in den Trubel hinein.

Und nun -? Nun lag er hier schon acht Tage am Weihnachtsbaumverkauf und keiner guckte ihn an. All die anderen Bäume, die so in seinem Alter und auch aus seiner Gegend waren, die waren alle schon verkauft. Die meisten von ihnen standen jetzt wohl alle in so einem kleinen, molligen Haus, standen fast alle in einem Ständer und wurden alle bunt sowie festlich geschmückt. – Und er? Er lag hier im Stoff rum und konnte hier versauern. Keiner wollte ihn haben. „Was ist das denn da für ein kleiner Baum?“ fragen die Leute immer.

„Och, das ist einer aus dem Unterholz, der ist gut fürs Feuer als Brennholz!“ sagt Jochen jedes Mal. „Da hatt‘ der Bauer mich wohl angeschmiert. Das hab ich gar nicht gemerkt. Dem ist als „Kind“ wohl einmal die Spitze abgebrochen, und dann ist er so ein bisschen krumm um die Ecke gewachsen. – Wenn Sie ihn mitnehmen wollen,–? Meinetwegen!“

Aber dann schütteln vor allem die Frauen immer alle mit dem Kopf und sehen sich nach einem anderen Baum um. „Oh ne, diese Menschen -?!“ dachte der kleine Tannenbaum. Und er dachte in Gedanken zurück an sein bisheriges Leben, und dachte: „Oh, diese verdrehten Jungs!? Wo denn die Gäste wohl alle abgeblieben sind? Die mögen ja nun alle groß sein, – laufen vielleicht alle in Schlips und Kragen herum, und denken gar nicht mehr an mich. Und die Lümmel wissen wahrscheinlich gar nicht, was sie angerichtet haben.– Kommen da einfach so angesaust — um „Krieg zu spielen“ – und schmeißen sich da – mit drei Mann – dicht bei mir ins Gras. Und denn — „So, Willi, sagt der eine, „bis hier sind wir gewesen, bis ans Holz ran!“ – „Ja, Heini“, sagt der andere, „und zum Zeichen, dass wir hier gewesen sind, nehmen wir uns Tannenzweige mit!“ – „Ach was – Zweige!?“ sagt Hannes Unbehaun. „‚Zweige sind gar nichts, — ’ne Spitze muss das sein! Hier diese schöne lange!“ Und damit riss er auch sein Messer aus dem Riemen, und schnitt mir meine Spitze ab, meine schöne lange Spitze-, so da war sie ab, dicht oben bei den höchsten kleinen Zweigen!

Oh, was hat das weh getan und was hat das geblutet! Drei Wochen hatt‘ das geblutet. Aber dann – hab ich mich gerettet und mir selbst geholfen. Hab einen von meinen besten Zweigen steil nach oben gebohrt – so gut es ging, und bin dann wieder so gewachsen, fünf Jahre hindurch, – und eigentlich fast ebenso hoch geworden wie die anderen Bäume. – Aber nun – ? Nun hat das wohl alles nichts geholfen -? Wenn mich doch nun keiner haben will -? Wäre ich doch mal lieber noch ein bisschen im Wald geblieben! – Oh, diese vermaledeiten Jungs! Und dieser verdammte Hannes Unbehaun! – Wenn ich dem an die Kleider kommen könnte, mit all‘ meinen spitzen Nadeln würde ich ihm in die Augen pieken, dass ihm die Tränen über die Wangen laufen.

„Guten Tag, Jochen!“ kam da auf einmal jemand angehumpelt. „Was ist? Haste für mich auch noch einen?“ Jochen dreht sich um und wundert sich: „Hallo -! Mensch, Hannes – ?! Hannes Unbehaun! Lebst du auch noch? Wo kommst du denn her? Dich hab ich ja sieben kalte Winter nicht mehr gesehen?“ „Ja, das mag man wohl sagen, Jochen. Och, ich bin schon wieder eine ganze Weile Zuhause, – war erst noch lang im Lazarett gewesen, und bin denn –“ „Du gehst am Stock -? Hast wohl was abbekommen -? Was am Bein – ?“ „Ja, am Bein und am Arm, und am Fuß und überhaupt. Ich hab meinen Teil weg. Aber — lass man. Hilft ja alles nichts! — Was ist? Hast du noch einen kleinen schönen Baum für mich? „Ja, die kleinen sind alle weg, Hannes. – Aber hier, die paar letzten großen noch! Was sagst du dazu? – Such dir einen aus!“

„Ach nee, Jochen, das ist nichts für uns. Die bekommen wir ja gar nicht in unsere kleine Hütte hinein. Nein, ich dachte so einen, den ich auf die Kommode stellen kann. – Was ist das denn für ein Exemplar da in der Ecke? Oder ist der verkauft? „Nee, Hannes, verkauft ist der noch nicht, aber – das ist Ausschuss, weißt du. Da hat der Bauer mich angeschmiert. Der hat sich als „Kind“ wohl mal die Spitze abgebrochen und ist dann so ein bisschen krumm um die Ecke gewachsen und ist verkrüppelt.“ —- „So“, dachte der kleine Tannenbaum, „nun ist das wieder so weit! Nun dreht er sich um – geht weg – oder sucht sich einen anderen aus. Hannes Unbehaun! – Du, Hannes! Guck mich doch mal an! – Kennst du micht denn gar nicht mehr!“ —- „Das ist der letzte Ausschuss“, meint Jochen wieder. „Das ist einer fürs Feuer, als Brennholz gut. Hat er Bauer mich angeschmiert!“

„Er hat aber feine dichte Nadeln“, sagt Hannes Unbehaun, und er beäugt den Baum von oben bis unten und dreht ihn hin und her. „Und ist unten auch schön gerade gewachsen!“ „Ja, das ist er, — bis auf die schiefe Spitze eben, – .“ „Und da kann er ja auch nichts für. Weißt du, was der mal hatte -? Ist wohl auch mal ein bisschen „kriegbeschädigt“ worden, – genauso wie ich. — Gib ihm mir mal mit, Jochen! Wenn er bei uns auf der Kommode steht, und ist ein bisschen bunt geschmückt oder zehn kleine Lichter auf den Nadeln, –“ “ Dann ist da nichts mehr von sehen, dass er ein wenig schief ist. Das ist auch wahr, Hannes. Nimm ihm mit! Wenn du ihn leiden magst -!“ „Jo, – was soll er denn kosten, Jochen?“ „Nichts, Hannes, – den schenk‘ ich dir zu Weihnachten. Bloß das ich ihn loswerde, – ich würde doch nur darauf sitzen bleiben. – Komm, – ich steck‘ ihn dir untern Arm! Geht das so? Hast ihn gut gefasst?“ „Ja, hab ich!“, sagt Hannes. „Vielen Dank, Jochen! Nun denn – frohes Fest!“

Und nun machte sich Hannes Unbehaun Schritt für Schritt mit seinem kleinen Tannenbaum auf nach Hause. Und der kleine Tannenbaum kroch ganz dicht an ihn heran, und wollte gar nicht mehr von ihm lassen, – und war auch gar nicht mehr traurig. —- Und abends saß Hannes Unbehaun mit seiner kleinen Mutter – und mit seiner großen feinen Dirn, die dieses Jahr das erste Mal mit ihm zusammen feiern wollte – dicht aneinander gerückt unter dem lütten Baum. Und sie guckten alle drei mit blanken, leuchtenden Augen in die kleinen Lichter und saßen ganz still und andächtig. Und der kleine Tannenbaum reckte seine schiefe Spitze bis ganz nach oben, — und freute sich so doll, wie sich bloß ein Tannenbaum freuen kann.

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