Weihnachtsgeschichte für Schulkinder
Weit oben im Himmel, gut versteckt in einem Meer aus Wolken, lebte ein Mal ein kleines Engelchen namens Gabriel. Er war noch sehr jung und wusste noch nicht so viel wie all die großen Engel oben im Himmel. Deshalb lernte er fleißig in der Himmelsschule um eines fernen Tages die wichtige aber auch schwierige Aufgabe als Schutzengel antreten zu können. Immer, wenn die Großen aufbrachen um als Schutzengel zu arbeiten, musste Gabriel im Himmel bleiben und durfte nicht mit auf die Erde. Er ärgerte sich oft darüber, doch Ariel, einer der Großen, sagte immer dasselbe zu ihm, nämlich: „Lern erst einmal fliegen, dann sehen wir weiter.“
Das mit dem Fliegen war so eine Sache. Seine Flügel waren eben auch klein, und noch nicht so stark. Er übte zwar jeden Tag, doch dabei wurde er schnell müde. Wenn Ariel das sah, hieß es: „Siehst du, Gabriel, wenn du jetzt schon müde bist, schaffst du den weiten Weg von der Erde in den Himmel nie und nimmer. Du würdest uns so fehlen, wenn du nicht mehr da wärst. Hab ein bisschen Geduld, du wirst noch früh genug zu einem echten Schutzengel!“
Auch wenn Gabriel dann immer brav nickte, machte ihn das tieftraurig. Er wollte nicht warten! Warten fand er furchtbar blöd.
Eines Tages, die Schule war schon lange aus, doch die Engel noch nicht zu Hause, setzte er sich ganz nah an den Rand einer Wolke und sah hinunter auf die Erde. „Pah! So weit ist das doch gar nicht!“, sagte er sich und rutschte noch ein Stückchen näher an den Rand um mehr zu sehen. Zugegeben, es ging ganz schön runter, aber da unten sah alles so schön aus! Er sah, wie alles im Mondlicht glitzerte und funkelte und er wunderte sich, warum alles mit Zucker bestreut war. Er beugte sich noch ein wenig weiter vor, da pustete ihn plötzlich ein Windstoß von hinten kopfüber von der Wolke. Erst hielt er sich noch fest und baumelte eine Weile am Wolkenzipfel, doch dann ließ er einfach los.
So ein kleiner Ausflug würde wohl nicht so schlimm sein, sagte er sich und dachte gar nicht darüber nach, wie er wieder zurückkommen sollte. Der Wind pfiff an ihm vorbei und die Erde kam immer näher, er legte er die Flügel so an, wie er es immer bei den Großen gesehen hatte, damit er langsamer wurde. Bei den Anderen hatte das immer so leicht ausgesehen, doch er merkte, dass er immer noch viel zu schnell war. Überhaupt nicht elegant plumpste er in einen Haufen Kristallzucker und schrie erschrocken auf, denn der Zucker war gar keiner! Er war kalt und nass und Gabriel zitterte, er hatte schließlich kaum was an, wie das bei Engeln so üblich war.
Bibbernd kroch er von dem Haufen weg und stellte sich mit nackten Füßen auf die kalte Straße. Er ging die Straße entlang, die im Dunkeln lag und wie ausgestorben war. Plötzlich fühlte er sich einsam und wünschte sich, er wäre wieder im Himmel. Fast hätte er angefangen zu weinen, da sah er ein Haus, das ihn neugierig machte. Es war fast vollkommen dunkel darin, nur aus einem Fenster drang ein flackernder Lichtschein.
Leise schlich er auf seinen Zehen durch den Vorgarten und spähte durch das Fenster. Was er dort drinnen sah, war so schön, dass er die Luft anhielt.
Da wuchs ein Baum mitten im Zimmer, der mit brennenden Kerzen geschmückt war. Außerdem hingen große, glänzende Kugeln und Glitzerfäden an den Ästen. Weil er alles ganz genau sehen wollte, ging er noch näher heran und stupste mit seiner kleinen Nase ans Fenster. Er sah zum ersten Mal echte Menschen. Eine Frau, das musste eine Mutter sein, wie er in der Engelschule gelernt hatte, saß auf dem Boden, mit einem kleinen Lockenkopf auf dem Schoß. Außerdem war da ein Großer Mann, der seine Arme links und rechts um zwei ältere Kinder gelegt hatte. Neugierig verfolgte Gabriel genau, was passierte. Er hörte, wie sie Lieder sangen und hätte sich am liebsten zu ihnen gesetzt und mitgesungen. Singen war eines seiner Lieblingsschulfächer und außerdem kannte er von jedem ihrer Lieder den Text!
Auf einmal flog ganz viel von dem kalten Zucker, der gar keiner war, vom Himmel. Ein bisschen davon flog genau auf Gabriels Nase und kitzelte in so sehr, dass er laut niesen musste. Da wurde es ganz leise im Wohnzimmer. Schnell sah sich Gabriel nach einem Versteck um, doch seine Beine waren so tiefgefroren, dass er nur ganz langsam gehen konnte. Er hatte noch gar kein richtiges Versteck gefunden, da ging eine Tür auf und die Mutter kam heraus, gefolgt von den größeren Kindern und dem Vater, der den Kleinsten auf dem Arm trug. Starr vor Schreck starrte er sie an und sie starrten zurück.
„Ach herrje!“, rief die Mutter und kam auf ihn zu. „Du musst ja ganz durchgefroren sein!“
Als sie nur noch ein paar wenige Schritte von ihm entfernt war, blieb sie plötzlich stehen und Gabriel wusste auch warum. Mitten in diesem weißen Gestöber hatte sie wohl nicht gleich seine kleinen, fedrig weißen Flügelchen gesehen. Ihre Augen wurden ganz groß und rund und Gabriel wusste nicht, was er tun sollte. Die Kinder kamen neugierig näher und auch sie starrten ihn an.
„Bist du ein Engel?“, fragte das Mädchen entzückt.
Gabriel nickte.
„Mami, Papi, ein echter Engel, darf er bei uns bleiben?“, rief sie laut und hüpfte auf der Stelle auf und ab.
„Willst du hereinkommen und dich aufwärmen?“, fragte die Mutter freundlich aber auch ein wenig überrascht.
Gabriel zögerte. Eigentlich durfte man sich den Menschen nicht zeigen, das wusste er, doch es war wirklich kalt und er fror so entsetzlich. Unsicher nickte er wieder. Er hatte ohnehin schon alle Regeln gebrochen, Ärger würde es sowieso geben.
Als er, dick in ein paar Decken eingemummelt, mit den anderen im Wohnzimmer saß, wusste niemand so recht, wie es weitergehen sollte. Da Gabriel sich ein bisschen dafür schämte, dass er alles durcheinandergebracht hatte, fing er ganz leise an, sein Lieblingslied über das Jesukind zu singen. Begeistert stimmten die Anderen mit ein und sie sangen gemeinsam so viele Weihnachtslieder, bis ihnen keine mehr einfielen. Gabriel staunte darüber, was bei einem echten Weihnachtsfest mit Menschen alles passierte. Ein Stapel Päckchen, die er vom Fenster aus gar nicht gesehen hatte, wurden ausgepackt, es wurde gelacht und gefeiert, gegessen und alle waren glücklich. Sie waren alle sehr freundlich zu Gabriel und löcherten ihn genauso mit Fragen, wie er sie.
Inzwischen wusste er auch, wie alle hießen, denn Susi, das Mädchen, hatte ihm alle vorgestellt. Sie spielte gerade mit ihrer neuen Puppe, Henry, der Kleinste, saß in einem Haufen Geschenkpapier und hatte große Freude daran, mit dem knisternden Papier zu spielen. Joshua und sein Vater Sven saßen vor einem komischen Gerät das leuchtete und von dem Gabriel absolut nichts verstand. Die Mutter, Eleonora war in der Küche.
Gabriel bemerkte als Einziger, daß Henry auf den Baum zukrabbelte, direkt auf die letzen, brennenden Kerzen zu.
„Halt!“, rief er laut, sprang in einem Satz von der Couch, flog auf Henry zu und bewahrte ihn davor, sich die Finger zu verbrennen.
„Ohweia!“, rief Sven laut und eilte zu den Beiden. „Zum Glück hast du so einen guten Schutzengel, Henry!“ Er nahm den erschrockenen Kleinen auf den Arm und pustete vorsichtshalber alle Kerzen aus.
Spät in der Nacht, als Gabriel schon lange auf der Couch schlummerte, schwebte Ariel ins Wohnzimmer und nahm den schlafenden Gabriel sachte auf den Arm. Gabriel wachte trotzdem auf.
„Alles ist gut Gabriel. Es wird nur zu Zeit, nach Haus zu gehen.“
„Krieg ich schlimmen Ärger? Muss ich jetzt für immer und ewig im Himmel bleiben?“, fragte er bekümmert.
„Nein, nein. Ich hab gesehen, wie du den kleinen Henry beschützt hast und weiß, dass du bald ein richtig guter Schutzengel sein wirst.“, flüsterte Ariel leise und flog mit ihm in den Himmel.
„Au, ja“, murmelte er noch bevor er wieder einschlief.