Weihnachtsgeschichte für Senioren

Der braune Schimmel

Weihnachtsabend
dann gehen wir nach oben
dann klingen die Glocken
dann tanzen die Poppen
dann piept die Maus
in Großvaters Haus.

So manches Mal hatte uns Vater diesen kleinen Spruch, so eben vor Weihnachten, erzählt, abends in der Dämmerung, als er bei uns auf der Bank saß. Ich – als der Kleinste – saß bei ihm auf dem Schoß: „Oh Papa-! Noch einmal!“

Das tat er dann auch, – „Fein!“, dachte ich jedes Mal.

Als ich nachher ein bisschen größer war und ein ein wenig klüger geworden war, da dachte ich: „Och, das hört sich zwar ganz schön an, aber Quatsch ist das eigentlich. Wir gehen ja gar nicht nach oben. Und oben, da wohnen auch gar keine Leute, da sind ja nur wir Böhms. Und Großvater? Großvater hat ja gar kein Haus und keine Maus. Alles Stuss! Vater soll sich mal was anderes ausdenken!“

Aber dann wurde ich noch größer und ging zur See, und ging raus ins richtige Leben, und – bekam Heimweh. Nicht nach Haus – nach meine Kinderzeit, nach den Schäferstündchen so eben vor Weihnachten. Und ich dachte wieder an Vaters kleines Gedicht. Und auf einmal wusste ich, was das heißen sollte, wusste ich, was das bedeuten sollte: Gehen wir nach oben soll heißen, unsere Gedanken gehen nach oben und gehen auch wieder zurück, zurück bis in unsere Kindheit, – und dann hören und sehen wir alles wieder, was wir als Kinder gesehen und gehört haben, – „dann klingen die Glocken, dann tanzen die Poppen,–„.

Ja, das ist es, das soll es heißen: Weihnachten sind wir alle mal wieder klein, und wenn auch nur für einen Augenblick, und das jedes Jahr wieder.
Wenn es meist grau und duster ist, den ganzen Herbst und Winter grau und duster, – dann brennt und scheint der kleine Weihnachtsbaum zu Weihnachten noch viel heller, auch wenn er krumm und schief ist, hat man ein kleines Licht. Wenn es sonst im Haus gar nichts gibt, keine Spielsachen, keinen Braten, dann freut man sich zu Weihnachten noch mal so doll über jedes Stück.

Als ich klein war, wir waren mit vier Jungs und einem Mädchen im Haus, und wir bekamen jedes Jahr zu Weihnachten ein Fass mit Äpfeln und dann noch immer ein bisschen obendrauf: einen Griffelkasten, oder eine Mütze, oder ein Paar Strümpfe, oder was wir sonst noch gebrauchen konnten. – Und dann hatten wir lange Jahre hindurch auch noch ein Geschenk, das ging von einem zum anderen.

Das war ein großartiges Pferd, das wir versuchten fein zu halten. Das hatte unser Hannes einmal zu Weihnachten gekriegt, als Schimmel, fein in Wachs, mit einem richtigen Schwanz aus Haar, – stand auf solchen geschwungenen Brettern. – Drei Wochen ist Hannes darauf geritten, erst im Haus, dann vor der Tür. Da war’s dann soweit: Ohren ab, Brett ab und Schwanz ab. Das Schaukelpferd war so gut wie kaputt. Weg mit dem Schimmel. Rauf auf den Dachboden damit. Der Dachboden war bei uns so eine Art Rumpelkammer.

Das andere Jahr zu Weihnachten bekam unser Hein ein Pferd, eigentlich so eins wie Hannes hatte, aber schwarz, nachtschwarz, – ohne Ohren und der Pferdeschweif war aus einem Tuch gefertigt. – Hannes sah es sich gleich einmal von allen Seiten an, aber gesagt hat er nichts. Konnte er auch gar nicht. Hein war die ganze Zeit am Reden. – Vier Wochen Galopp, – da hatte er es auch wieder soweit: Schnute abgeklopft, Bein ab, Schwanz ausgerissen oder abgetreten. – Weg mit dem Schwarzen! Rauf auf den Dachboden mit ihm.

Im nächsten Jahr bekam unser Jakob ein Schaukelpferd, eigentlich so eins wie Hein schon hatte, aber – braun, ganz braun, – hatte bloß ein hochgebundenes Maul, hatte ein lasches Bein, und hatte einen Schweif aus einem Stück Leder. – Hannes und Hein sahen sich an, sagten aber nichts. – Jakob war auch ein ganz wilder Jockey, er schaukelte immer ganz heftig von einer Ecke zur anderen: „Über Stock und Steine, aber brich dir nicht die Beine – !“ Das tat er auch nicht, der olle Gaul aber brach sich den Hals – fünf Wochen nach Weihnachten. Jakob wollte wohl zu heftig mit ihm um die Ecke rum, – Kopf ab! Und dann fiel das Ding ohne Kopf auch noch fast die Treppe runter. Hein wollte es noch am Schwanz festhalten, Schweif ab! – Na, da war ja erst einmal wieder Feierabend. – Weg mit der Mähre. Rauf auf den Dachboden damit.

Das nächste Jahr sagte Hannes zu mir: Ich weiß schon, was du zu Weihnachten bekommst!“ .- „Na, was denn?“ -„Du kriegst ein Pferd!“ – „Nee, das glaub ich nicht!“ – „Wollen wir wetten?“ – „Ja, darauf wetten wir!“ – „Um was?“ – „Och, um einen Apfel!“ – „Gut, Hand her!“.

Mutter musste die Wette bezeugen. Muttern rollte mit den Augen, und Hannes verspielte seine Wette. – Ich bekam zu Weihnachten kein Pferd, ich kriege ein Paar feine Fäustlinge aus Schafswolle, die Mutter selbst gesponnen hat. – Und Hannes musste mir seinen besten Apfel geben. Er schimpfte auf den Weihnachtsmann, dass der nicht mal wieder einen ollen Pferdekopf anschleppen konnte.

Ober das konnte der Weihnachtsmann doch, das dauert bloß ein bisschen länger. Das andere Jahr zu Weihnachten bekam ich einen Schimmel, einen Schneewittchen-Schimmel, er hatte bloß ein paar große Nägel am Hals, einen Nagel anstelle eines Beines und einen Pferdeschwanz aus einem Stück Tau, – Manillo-Tauwerk von Vaters Fischereuse.

Oh, was habe ich mich über diesen Schimmel gefreut! Gleich mit einem Satz rauf, Zügel angespannt: „Hüh, Lotte, hüh, hopp!“, immer schön mit den Hacken in die Schenkel. Da gucke ich so an mir runter und hab die ganzen Knie voll Farbe. – Und ich steig‘ wieder auf, – meine Buchse ist weiß und mein halber Schimmel ist braun! Und meine drei großen Brüder – die lachten mich aus vollem Hals aus. Und Mutter guckt sich das Pferd an und sagt zu Vatern: „Da hat sich der Weihnachtsmann ja was einfallen lassen!“ Und Vater grinst und sagt: „Ja, und im Winter trocknet die Farbe auch so schlecht.“ Aber acht Tage später war mein bunter Schimmel doch trocken und das Reiten (bzw. Schaukeln auf dem Schaukelpferd) konnte wieder losgehen. Und ich hab doch noch ein halbes Jahr auf ihm herumgeritten. Aber dann hatte ich ihn doch wieder so weit: Zwei Beine ab, und das Genick umgedreht. – Bloß beim Schwanz, da konnte ich nichts machen. Den Schwanz – den hatte unser Vater so gut befestigt, daran konnte man nun den ganzen Bauernhof aufhängen.

Das kannste auch noch immer. Der olle Schimmel steht noch immer bei uns auf dem Dachboden – mit einem Schweif aus einem Stück Tau, mit anderthalb Beinen, und ohne Hals, – und es ist das beste Pferd, was ich mir vorstellen kann. – So eben war Weihnachten – dann sind meinen Gedanken immer wieder bei ihm, – und

„Weihnachtsabend
dann gehen wir nach oben
dann klingen die Glocken
dann tanzen die Poppen
dann piept die Maus
in Großvaters Haus!“

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