Weihnachtsgeschichte für Familien

Es war an einem kalten Winterabend im Dezember vor langer, langer Zeit als ein kleines Lamm, mutterseelenallein und fast erfroren durch den Schnee irrte. Wie Diamanten schimmerten die Eiskristalle in seinem schwarzen Fell, das wie ein lockiger Mantel das Schäfchen umgab. Schon seit Stunden hatte es seine Herde verloren und fand keine Spuren mehr, die es hätten zurückführen können. „Und das alles nur wegen diesem Stern mit dem Schweif“, jammerte das Lämmchen stillschweigend in sich hinein.

Die Herde hatte sich eng aneinander gekuschelt, um die wenige Wärme zwischen den einzelnen Tieren zu speichern. Anstatt sich eng an seine Geschwister zu schmiegen, sah Kuno fasziniert auf zum Himmel und verfolgte den seltsamen Schweifstern, der hoch oben am Himmel stand und einen Weg zu weisen schien. Zuerst folgte er ihm nur mit den Augen und dann fing er an zu laufen. Das ängstliche Blöken seiner Familie verschwand bald zwischen unzähligen Schneeflocken. Noch bevor Kuno es richtig merkte, war er schon außer Sichtweite. Kuno lief und lief bis er außer Atem war. Der Stern hatte eine bestimmte Bahn und dem schwarzen Schäfchen kam es so vor, als wusste das Himmelsgestirn genau wohin es wollte. Neugierig wie kleine Lämmer nun mal sind, wollte Kuno dem Geheimnis des Sterns auf die Schliche kommen. Nie zuvor hatte er ein derartig helles Licht am dunklen Nachthimmel ziehen sehen und schon gar nicht in dieser Geschwindigkeit. Kuno kannte sich gut aus am Himmel. Wenn die anderen Schafe schon schliefen, schaute er oft noch lange hinauf, suchte nach den Sternbildern und nach dem Verlauf der Milchstraße. So oft er auch anfing die glitzernden Punkte zu zählen, er kam nie sehr weit. Sie verschwammen vor seinen Augen und er begann zu begreifen, dass er ihre Vielzahl niemals wirklich ermessen würde. Trotzdem verschrieb er sich dem Zählen der Sterne, so wie andere vor dem Einschlafen Schäfchen zählten.

Das schwarze Lamm war im weißen Schnee eine leichte Beute für Raubtiere und Jäger. Kuno war sich seines dunklen Fells durchaus bewusst, aber längst nicht der Gefahr, die davon ausgehen könnte. Dazu war er noch zu klein und hatte nicht genügend Erfahrung. Wie hätte er die auch sammeln können, er kannte bis jetzt nur den Schutz der Herde. Die anderen Schafe hänselten ihn oft wegen seiner Andersartigkeit, waren sie doch alle schneeweiß. Einige verspotteten ihn sogar und wollten ihn aus der Herde drängen. Doch seine Mutter verteidigte ihn stets und insgeheim war sie auch irgendwie stolz auf ihren außergewöhnlichen Jungen. Kein anderes Lamm hatte eine so schöne, weiche Wolle wie ihr Kind.

Kuno war ein Träumer und er nahm sich die Worte der anderen sehr zu Herzen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er wie ein Schwan später einmal genauso weiß werden würde wie seine Geschwister. Er liebte diese Geschichte vom „hässlichen Entlein“, die so bitter begann und doch so glücklich endete. Doch all das half ihm jetzt gar nichts. Ihm war kalt, er hatte Hunger und er war müde, sehr müde. Und das Schlimmste, der Stern war hinter den Wolken verschwunden. Tränen füllten seine Augen, die ihm trotz der Kälte fast zufielen. Er sah seine Mutter vor sich, die sich bestimmt große Sorgen machte. Wie konnte er nur so gedankenlos sein. Lieber ein schwarzes Schaf in einer Herde sein, als ohne Dach über den Kopf schutzlos durchs Leben zu treiben. Wenn er hier wieder lebend herauskäme, würde er nie wieder mit seinem schwarzen Fell hadern. Die anderen Schafe würden schon sehen, wie stolz er auf seine schwarze Farbe war. Kuno fabulierte mehr tot als lebendig vor sich hin und ergab sich kraftlos den Schneeflocken und dem schneebedeckten Land.

Vielleicht verging nur ein Moment, vielleicht waren es auch Stunden, plötzlich war es taghell um ihn herum. Weiches Licht füllte die Landschaft und eine angenehme Wärme breitete sich aus. Kuno blinzelte angestrengt und sah eine merkwürdige Figur, die eigentlich gar keine war. Die Gestalt lächelte und Kuno vergaß seine Angst. Der Engel streichelte ihm über sein schwarzes Fell und wies ihn in die gleiche Richtung, wie es der Schweifstern bereits getan hatte. Einem inneren Drang nachgebend, schritt Kuno sofort los. Und wirklich nach nicht allzu langer Zeit tat sich erneut ein Licht auf. Diesmal kam es von einem Feuer, das jemand in einem einsamen Stall angezündet hatte. Als das Lämmchen näher dran war, konnte es sehen, dass sich ein Mann, eine Frau und ein kleines Kind in einer Krippe an dem Feuer dürftig wärmten. Die Flammen loderten so einladend, dass sich Kuno einen weiteren Schritt heranwagte. Vorsichtig lugte er hinein. All die Angst, die Kälte und der Hunger waren mit einem Schlag verschwunden. Nie hatte Kuno in seinem jungen Leben ein so schönes Kind gesehen. Es umklammerte die Hand seiner Mutter mit seinen kleinen Fingerchen und ein zauberhaftes Lächeln umspielte seinen Mund. Als das Kind Kuno bemerkte, war es ihm, als ob es zwinkerte. Kuno schüttelte sich kurz, seine Augen waren wohl schon zu müde, um noch richtig sehen zu können.

In der Ecke und in der Krippe, in der das Kind lag, war etwas Stroh aufgeschüttet. Kuno wünschte sich sehnlichst, nur noch zu schlafen. Das Kind in der Krippe umfasste einige Strohhalme mit seinen kleinen Händchen und hielt sie in seine Richtung. Bruno wurde ganz warm ums Herz und er nahm das Bündelchen Halme aus der weichen Hand des Kindes. „Du gibst mir dein weniges Stroh, dann sollst du all meine warme Wolle haben. Sie wird dich in dieser kalten Nacht wärmen und dich beschützen“. Und so kam es, dass der Mann das schwarze Schäflein scherte und das lächelnde Kind auf die Wolle bettete. Nackt und glücklich schlief Kuno auf den Strohhalmen ein. Neben ihm in der Krippe schlummerte das Kind auf dem schwarzen Lammfell. Frieden umgab die kleine Gruppe und draußen in der Morgendämmerung näherte sich langsam eine Herde weißer Schafe.

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