Nikolausgeschichte für Kindergartenkinder
Heute ist der 5. Dezember und Schnee fällt vom Himmel. Dicke Flocken setzen sich auf den Zäunen, Wiesen und Gehwegen nieder. Alle Kinder sind glücklich und froh, denn heute ist ein ganz besonderer Tag: Heute Abend kommt der Nikolaus! Und weil der immer so tolle Geschenke für die lieben und braven Kinder bringt, bemühen sich heute alle, ganz besonders lieb zu sein.
Auch die Kinder des Kindergartens in Wolkenhausen sind heute besonders brav. Sie räumen ihre Spielecken auf ohne zu murren, sie schreien nicht herum, sie zanken nicht und essen auch artig ihr Brot beim gemeinsamen Frühstück auf. Selbst Kevin, Abdullah und Tim ärgern heute die kleine Jessica nicht. Die Kindergärtnerinnen Anja und Heike sind glücklich darüber. So lieb waren die Kindergartenkinder schon lange nicht mehr.
Um 14.00 Uhr sind die letzten Kinder von ihren Mamis abgeholt worden. Keines hat gemeckert oder geweint. Ganz im Gegenteil: Alle gaben ihrer Mama einen dicken Kuss, haben sich alleine angezogen und sind dann brav an der Hand ihrer Mutter nach Hause gegangen.
Jetzt schlägt die Kirchenuhr 17. In den Häusern sitzen die Kinder brav am Abendbrottisch und essen alles auf. Selbst die kleine Jessica, die sonst nie Leberwurstbrot mag, isst heute ihr Brot ohne zu murren. Auch Abdullah, Kevin und Tim, die Jungen aus Jessicas Kindergartengruppe, die sie sonst immer nur ärgern, sind heute ganz lieb. Sie helfen ihren Mamas sogar beim Abräumen. Kevin darf noch ein wenig an der Wii spielen, Abdullah muss ein paar Spielsachen aus dem Wohnzimmer räumen, ehe er seine Benjamin-Blümchen-CD hören darf, und Tim spielt mit seinem Papa Memory. Aber was macht Jessica nach dem Abendessen? Sie hat sich zu Papa auf die Couch gekuschelt und ist doch tatsächlich eingeschlafen. „Pssssst, leise!“, flüstert Papa Mama zu und trägt die Kleine in ihr Bett. Vorsichtig schließt er die Tür. – Abdullah, Kevin und Tim indes stellen schnell noch ihre größten Stiefel vor die Tür, damit der Nikolaus heute Nacht auch wirklich viel hineinlegen kann. Dann gehen auch sie schlafen. Diesmal aber ohne zu Quengeln. Schließlich soll der Heilige Nikolaus ja sehen, dass hier besonders liebe Kinder wohnen.
Alle vier Kindergartenkinder schlafen tief und fest. Schneeflocken wirbeln immer noch auf die Erde. Ein kleiner Schneemann steht vorm Kindergartenfenster und wartet darauf, dass am nächsten Tag wieder fröhliches Kinderlachen erklingt. Der Mond steigt am Himmel empor und wacht über die Menschen dort unten auf der Erde. Besonders am Herzen liegen ihm natürlich die Kinder, daher schickt er das Sandmännchen auch heute wieder zu ihnen, damit es ihnen mit seinem Sand zuckersüße Träume überbringt. Jessica bekommt eine doppelte Portion Traumsand, denn sie ist doch immer so lieb. Ja, sie ist die einzige der Kindergartenkinder, die immer brav ist, die immer das macht, was ihre Eltern und die Kindergärtnerinnen von ihr wollen. Sie putzt sich stets, ohne dass Mama es sagt, die Zähne. Sie wäscht sich freiwillig. Und sie lässt sich auch die Haare waschen ohne zu weinen. Ein besonders liebes Mädchen also!?
Jessica träumt. Sie träumt vom lieben Nikolaus. Sie träumt davon, dass er zu ihr kommt und mit ihr frühstückt. Dann gehen sie gemeinsam in den Kindergarten. Gehen? Nein, nicht ganz! Nikolaus nimmt Jessica hoch und setzt sie auf seinen Esel. Er parkt ihn direkt vor der Kindergartentür und alle Kinder sind neidisch, als beide Hand in Hand eintreten. Die anderen Kindergartenkinder haben nur gefüllte Stiefel mit Schokolade, Lebkuchen, Socken oder kleinen Büchlein bekommen.
Während Jessica solch einen schönen Traum hat, kommen der Heilige Nikolaus und sein Knecht Ruprecht mit dem Esel vom weit entfernten Nordpol nach Wolkenhausen. Sie parken das graue Eselein gleich hinter der Apotheke und schleppen den wirklich schweren Sack durch die ruhigen, nächtlichen Straßen der Stadt. Keine Menschenseele ist zu sehen. Alle schlafen. Nur vor der Hausnummer 4 des Mittelweges liegt ein kleines Kätzchen und miaut. Nikolaus bückt sich, streichelt es und gibt ihm ein Katzenleckerli, das er gerade noch in seiner Manteltasche hat. Das kleine Katzentier freut sich sehr, schnurrt und streicht dem großen, alten Mann um die Stiefel. „Danke, lieber Mann!“, soll das heißen. Knecht Ruprecht und Nikolaus gehen weiter, bis sie an die Häuser kommen, wo die Kinder wohnen. Das sehen sie daran, dass dort überall Kinderschuhe vor den Türen stehen. In Abdullahs gelbe Gummistiefel legt er ein Kartenspiel, Fußballbilder und natürlich ganz viel Schokolade. Kevin hat gleich zwei Stiefel raus gestellt. Schließlich ist er schlau, denn er weiß mit seinen 5 Jahren schon, dass in zwei Stiefel mehr als in einen Stiefel passen. Nikolaus schmunzelt. Er nimmt sein großes goldenes Buch hervor und schlägt unter „Kevin“ nach. Da steht, dass Kevin manchmal die kleine Jessica im Kindergarten ärgert. „Na, na, na, das ist aber gar nicht fein“, meint er zu Knecht Ruprecht. Beide überlegen, dann entscheiden sie, dass sie tief in den Sack greifen, ein Spielzugauto sowie Süßigkeiten herausnehmen und alles in den einen Stiefel stecken. In den anderen aber legen sie einen Zettel. Darauf steht: Lieber Kevin! Wenn du Jessica nicht mehr ärgerst, dann fülle ich dir im nächsten Jahr beide Stiefel. Lieben Gruß vom Nikolaus. Dann geht es weiter. Schließlich wohnen ja noch mehr Kinder in der Stadt.
Völlig erschöpft steigen Ruprecht und Nikolaus im Morgengrauen auf den Rücken ihres Eselchens und ab geht es nach Hause. Dort warten bereits die Elfen, um den Esel zu füttern. Frau Nikolaus reicht ihrem Mann die Pantoffeln, und gemeinsam sehen sie sich alle im Fernsehen das Erwachen der Kinder in Wolkenhausen an. Alle Schulkinder, alle Kindergartenkinder rennen aufgeregt vor ihre Haustüren, um zu sehen, was Nikolaus ihnen wohl in die Schuhe gesteckt haben mag. Fröhlich springend und lachend laufen sie zu ihrer Mama und rufen: „Schau, Mama, was ich bekommen habe!“ Jede Mutter streicht ihrem Kind liebevoll übers Haar und freut sich mit ihm. Aber was müssen Nikolaus und die anderen sehen? Weint da etwa ein Kind in Wolkenhausen? Sie zoomen näher heran und richtig! Sie erkennen die kleine Jessica. Warum weint sie denn? „Au verflixt!“, ruft da der Heilige aus „haben wir denn der kleinen Jessica überhaupt etwas in ihren Stiefel gesteckt?“ Knecht Ruprecht kann sich nicht erinnern. Nikolaus auch nicht. Und ihr, liebe Kinder? – Nein! Jessica, wohnhaft in Wolkenhausen in der Himmelsgasse 9, hat tatsächlich als einziges Kind nichts vom Nikolaus geschenkt bekommen. Aber warum nur?
Richtig! Jessica war auf Papas Schoß eingeschlafen. Papa hatte sie dann ins Bett getragen, und so kam es, dass sie keinen Schuh vor die Tür stellte. Die Eltern hatten es auch vergessen. Schrecklich, wo sie doch so ein liebes Mädchen ist! Was sollen die anderen Kindergartenkinder nur denken, wenn sie alle erzählen, was der Nikolaus gebracht hat, und Jessica sagt, dass sie nichts bekommen habe!? Unvorstellbar. Kevin, Abdullah und Tim werden sie auslachen und verspotten. Das will sie nicht! Nein! „Nein, ich gehe heute nicht in den Kindergarten“, heult sie. Mama versucht, sie zu trösten. Und auch Papa verspricht: „Weißt du, meine Kleine, dann bekommst du eben von uns was Schönes geschenkt.“ Aber Jessica schüttelt nur den Kopf und weint weiter. Das ist doch nicht das selbe, denkt sie.
Nikolaus wird völlig warm ums Herz. „Ich muss ganz, ganz schnell nach Wolkenhausen!“, schreit er. Das Eselchen ist todmüde, und zu Fuß ist es viel zu weit. Was soll er nur tun? Da hat Frau Nikolaus die rettende Idee. Sie greift zum Handy, wählt die Nummer des Osterhasens und bittet ihn, schnell sein Eier-Blitz-Taxi vorbei zu schicken. Gesagt – getan. Meister Lampe ruft sofort nach Maxi, den Eier-Blitz-Taxifahrer. Dieser schaltet den Turbo ein und saust wie der Wind zum Nordpol, um in Nullkommanichts den Heiligen Nikolaus abzuholen. Dieser will derweil in seinem Sack nachsehen, welches Geschenk denn noch für die kleine Jessica übrig sei. Doch, ach, o Schreck! Der Sack ist leer! „Was soll ich nun dem lieben kleinen Mädchen schenken?“, ruft er aufgeregt. Aber auch hier weiß seine Frau zu helfen. Sie erklärt ihm, was er zu tun hat, und schon hupt das Eier-Blitz-Taxi. Nikolaus küsst noch einmal zum Abschied seine kluge und liebe Frau, dann geht es geschwind nach Wolkenhausen.
Dort, in der Himmelsgasse 9 weint die kleine Jessica immer noch. Sie kann sich gar nicht beruhigen. Und Mama und Papa schaffen es auch nicht, sie aufzuheitern. Da klingelt es an der Haustür. Tarzan, der kleine Dackel der Familie, bellt und rennt zur Tür. Mama öffnet und staunt nicht schlecht: Steht da wirklich der Nikolaus? Sie traut ihren Augen nicht. Tarzan wedelt mit dem Schwanz und schnuppert. „Komm doch herein, lieber Mann“, bittet Jessicas Mama. Nikolaus tritt ein, geht in die Küche und sagt nur: „Jessica, es tut mir leid!“ Jessica hebt den Kopf, strahlt und springt dem Heiligen Nikolaus in die Arme. „Du bist das schönste Nikolausgeschenk, das ich je bekommen habe!“, ruft die Kleine aus. „Genau davon habe ich heute Nacht geträumt! Komm, setz dich! Du bekommst auch meine Cornflakes.“ Nikolaus nimmt Platz, und gemeinsam frühstückt er mit Jessica und ihren Eltern.
Mama schaut auf die Uhr und meint: „Schatz, es wird Zeit, wir müssen los. Du musst in den Kindergarten. Verabschiede dich schnell vom Nikolaus und dann komm!“ Jessica schaut ganz traurig drein, und Nikolaus weiß natürlich sofort, was zu tun ist. „Komm, ich bringe dich heute in den Kindergarten!“ Er reicht Jessica die Hand. Sie nimmt ihr Kindergartentäschchen, lächelt, gibt Mama einen dicken Kuss und zieht Nikolaus hinter sich her. Draußen wartet schon das Eier-Blitz-Taxi. Maxi, der langohrige Taxifahrer verbeugt sich tief, öffnet die Tür, und gemeinsam mit Nikolaus steigt Jessica ein. Der Weg zum Kindergarten ist nicht weit. Jessica kommt sich vor wie eine kleine Prinzessin. Dann stoppt das Taxi, die beiden steigen aus, nachdem ihnen Maxi wieder die Tür geöffnet hat. Sie gehen – nein, sie schreiten den Kiesweg zur Kindergarten-Eingangstür entlang. Der Schneemann, der immer noch dort steht, zwinkert ihnen zu.
Als die Tür aufgeht und Jessica in das Spielzimmer kommt, drehen sich Kevin, Abdullah und Tim um und wollen gerade „Zu spä-het! Zu spä-het!“ schreien, doch da bleiben ihnen die Worte im Hals stecken. Sie bekommen den Mund nicht mehr zu: Hinter Jessica steht der leibhaftige Nikolaus. Jessica strahlt und lächelt den drei Buben zu.
Ihr könnt euch vorstellen, was da los war, im Kindergarten in Wolkenhausen!? Solch einen Kindergartentag hatte selbst die alte Trine, die dienstälteste Kindergärtnerin, noch nie erlebt.